Liebe Brüder im Priesteramt!
1. Da Jesus »die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung« (Joh 13, 1). Tief bewegt lese ich hier in Jerusalem noch einmal die Worte, mit denen der Evangelist Johannes den Bericht vom Letzten Abendmahl einleitet. Ich tue es an dem Ort, wo der Überlieferung nach Jesus und die Zwölf einkehrten, um das Paschamahl und die Einsetzung der Eucharistie zu feiern.
Ich lobe den Herrn, der es mir im Jubiläumsjahr der Menschwerdung seines Sohnes gewährt hat, mich auf die irdischen Spuren Christi zu begeben und den Wegen zu folgen, die er zwischen seiner Geburt in Betlehem und seinem Tod auf Golgota zurückgelegt hat. Gestern verweilte ich in der Geburtsgrotte in Betlehem. In den nächsten Tagen werde ich mich an verschiedene Orte des Lebens und Wirkens des Erlösers begeben: angefangen vom Haus der Verkündigung über den Berg der Seligpreisungen bis zum Ölberg. Am Sonntag schließlich werde ich auf Golgota und am Heiligen Grab sein.
Der heutige Besuch im Abendmahlssaal bietet mir die Gelegenheit, einen umfassenden Blick auf das Geheimnis der Erlösung zu werfen. Hier, an dieser Stelle, hat er uns mit der unermeßlichen Gabe der Eucharistie beschenkt. Hier ist auch die Wiege unseres Priestertums.
Ein Brief aus dem Abendmahlssaal
2. So möchte ich gerade von diesem Ort aus mein Schreiben an euch richten, mit dem ich mich seit über zwanzig Jahren am Gründonnerstag, dem Tag der Eucharistie und schlechthin »unserem« Tag, an euch wende.
Ja, ich schreibe euch aus dem Abendmahlssaal. Dabei wird in mir noch einmal all das lebendig, was sich in diesen Mauern an jenem vom Geheimnis durchwalteten Abend ereignet hat. Vor meinem geistigen Auge kommt Jesus in den Blick, es erscheinen die Apostel, die mit ihm zu Tisch saßen. Ich verweile besonders bei Petrus und meine ihn zu sehen: wie er zusammen mit den anderen Jüngern voller Staunen die Gesten des Herrn beobachtet und tief bewegt seine Worte hört; wie er, freilich mit der Last seiner Schwäche, sich dem Geheimnis öffnet, das sich da ankündigt und sich in Kürze erfüllen soll. In diesen Stunden vollzieht sich der große Kampf zwischen der Liebe, die sich vorbehaltlos hingibt, und dem mysterium iniquitatis, das sich in seine Feindseligkeit verschließt. Der Verrat des Judas nimmt sich aus wie eine Art Emblem der Sünde der Menschheit. »Es war Nacht«, bemerkt der Evangelist Johannes (13, 30): die Stunde der Finsternis, die Stunde der Trennung und unendlicher Trauer. Doch in den betrübten Worten Christi schimmert bereits das Licht der Morgenröte durch: »Ich werde euch wiedersehen; dann wird euer Herz sich freuen, und niemand nimmt euch eure Freude« (Joh 16, 22).
3. Über das Geheimnis jener Nacht müssen wir immer wieder neu nachdenken und häufig im Geiste in diesen Abendmahlssaal zurückkehren. Dort dürfen besonders wir Priester uns in gewissem Sinn »zu Hause« fühlen. Was der Psalmist von den Völkern in bezug auf Jerusalem ausspricht, könnte man von uns im Hinblick auf den Abendmahlssaal sagen: »Der Herr schreibt, wenn er die Völker verzeichnet: Er ist dort geboren« (Ps 87, 6).
Von diesem heiligen Raum aus denke ich spontan an euch, die ihr in den verschiedensten Teilen der Welt lebt, mit euren tausend Gesichtern, jüngeren und fortgeschritteneren Alters, in euren unterschiedlichen Gemütsverfassungen: Aus vielen spricht, Gott sei Dank, Freude und Begeisterung, bei anderen überwiegen vielleicht Schmerz oder Müdigkeit oder auch Unsicherheit. In allen verehre ich jenes Bild von Christus, das ihr mit der Priesterweihe empfangen habt, jenen »Charakter«, der jeden von euch unauslöschlich kennzeichnet. Es ist das Zeichen der Liebe, die den »Lieblingskindern« gilt. Diese Liebe gilt jedem Priester. Auf sie kann er immer zählen, wenn es darum geht, voll Freude voranzugehen oder mit Begeisterung einen Neuanfang zu wagen, damit die Treue immer größer werde.
Aus der Liebe geboren
4. »Da Jesus die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung«. Im Unterschied zu den anderen Evangelien hält sich das Johannes-Evangelium bekanntlich nicht bei der Erzählung von der Einsetzung der Eucharistie auf, die Jesus bereits in seiner ausführlichen Rede in Kafarnaum angesprochen hatte (vgl. Joh 6, 26-65). Statt dessen verweilt es bei der Fußwaschung. Diese Initiative Jesu, die bei Petrus Befremden auslöst, will weniger ein Beispiel von Demut sein, das uns zur Nachahmung empfohlen würde, als vielmehr die Radikalität offenbaren, mit der Gott uns entgegenkommt. Denn in Christus hat Gott »sich entäußert« und »Knechtsgestalt angenommen« bis zur äußersten Erniedrigung am Kreuz (vgl. Phil 2, 7), um der Menschheit den Zugang zum Innersten des göttlichen Lebens zu eröffnen: Die großen Reden, die im Johannes-Evangelium auf die Geste der Fußwaschung folgen und sie gleichsam kommentieren, stellen eine Art Einführung in das Geheimnis der dreifaltigen Gemeinschaft dar, zu der uns der Vater beruft, indem er uns in Christus aufnimmt durch die Gabe des Heiligen Geistes.
Diese Gemeinschaft soll nach der Logik des neuen Gebotes gelebt werden: »Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben« (Joh 13, 34). Nicht durch Zufall liegt die Krönung dieser »Mystagogie« im Hohepriesterlichen Gebet, das Christus in seiner Einheit mit dem Vater zeigt. Christus war bereit, durch seine Selbsthingabe zum Vater zurückzukehren, und hegte für seine Jünger nur einen einzigen Wunsch: die Teilhabe an seiner Einheit mit dem Vater: »Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns eins sein« (Joh 17, 21).
5. Aus jener kleinen Gruppe von Jüngern, die diese Worte hörten, hat sich die ganze Kirche herausgebildet, die sich zeitlich und räumlich ausbreitete als »ein Volk, das von der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zusammengeführt wird« (Hl. Cyprian, De Orat. Dom., 23). Die tiefe Einheit dieses Volkes schließt nicht aus, daß es darin untereinander verschiedene und einander ergänzende Aufgaben gibt. So stehen diejenigen mit den ersten Aposteln in einer besonderen Verbindung, die dazu bestellt wurden, in persona Christi die Handlung zu erneuern, die Jesus beim Letzten Abendmahl mit der Einsetzung des eucharistischen Opfers als »Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens« (Lumen gentium, 11) vollzogen hat. Der sakramentale Charakter, der sie kraft der empfangenen Weihe auszeichnet, sorgt dafür, daß ihr Dasein und ihr Dienst einzigartig, notwendig und unersetzlich sind.
Seit jenem Augenblick sind fast zweitausend Jahre vergangen. Wie viele Priester haben diese Handlung wiederholt! Oft waren es vorbildliche Jünger, Märtyrer, Heilige. Wie könnten wir in diesem Jubiläumsjahr die vielen Priester vergessen, die mit ihrem Leben Christus bis zum blutigen Ende bezeugt haben? Ihr Martyrium begleitet die ganze Kirchengeschichte. Es durchzieht auch das Jahrhundert, das wir soeben hinter uns gelassen haben und das von verschiedenen diktatorischen und kirchenfeindlichen Regimen gekennzeichnet war. Vom Abendmahlssaal aus möchte ich dem Herrn Dank sagen für den Mut dieser Priester. Blicken wir auf sie, um von ihnen zu lernen und dem Beispiel des guten Hirten zu folgen, »der sein Leben hingibt für die Schafe« (Joh 10, 11).
Ein Schatz in zerbrechlichen Gefäßen
6. Es stimmt: Wie in der Geschichte des ganzen Gottesvolkes, so hat auch in der Geschichte des Priestertums die dunkle Existenz der Sünde ihren Platz. Wie oft hat die menschliche Gebrochenheit der Amtsträger in ihnen das vom Licht durchglänzte Antlitz Christi verdunkelt! Doch wie sollte man sich gerade hier im Abendmahlssaal darüber wundern? Hier ereignete sich nicht nur der Verrat des Judas, sondern selbst Petrus mußte mit seiner Schwachheit rechnen, als er die bittere Voraussage der Verleugnung vernahm. Als Jesus Christus Männer wie die Zwölf auswählte, hat er sich gewiß keine falschen Hoffnungen gemacht: Es war diese menschliche Schwachheit, der er das sakramentale Siegel seiner Gegenwart einprägte. Den Grund dafür nennt uns Paulus: »Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt« (2 Kor 4, 7).
Deshalb hat das Volk Gottes trotz aller Schwächen seiner Priester nicht aufgehört, an die Kraft Christi zu glauben, die durch ihren Dienst wirksam wird. Muß man in diesem Zusammenhang nicht an das herrliche Zeugnis des Poverello aus Assisi denken? Er, der aus Demut nicht Priester werden wollte, hinterließ in seinem Testament die Darstellung seines Glaubens an das Mysterium des in den Priestern gegenwärtigen Christus: Er tat es dadurch, daß er sich bereit erklärte, selbst dann die Priester als seinen Bezugspunkt zu wählen, wenn sie ihn verfolgt hätten, ohne ihnen ihre Sünde anzurechnen. »Ich tue das so erklärte er , weil ich vom allerhöchsten Sohn Gottes leibhaftig in dieser Welt nichts anderes sehe außer seinen heiligsten Leib und sein heiligstes Blut, die sie allein konsekrieren und sie allein den anderen spenden« (Fonti Francescane, Nr. 113).
7. Von diesem Ort aus, an dem Christus die heiligen Worte zur Einsetzung der Eucharistie gesprochen hat, lade ich euch, liebe Priester, ein, das »Geschenk« und das »Geheimnis«, das wir empfangen haben, wiederzuentdecken. Um es an der Wurzel zu erfassen, müssen wir über das Priestertum Christi nachdenken. An ihm hat gewiß das ganze Volk Gottes kraft der Taufe teil. Doch das Zweite Vatikanische Konzil erinnert uns auch daran, daß es außer dieser Art der Teilhabe, die allen Getauften gemeinsam ist, noch eine andere und besondere Weise gibt: das Amtspriestertum, das sich dem Wesen nach vom Priestertum aller Gläubigen unterscheidet, auch wenn es ganz eng auf dieses hingeordnet ist (vgl. Lumen gentium, 10).
Dem Priestertum Christi nähern wir uns in einer besonderen Sichtweise im Rahmen des Jubiläums der Menschwerdung an. Dieses lädt uns ein, uns in Christus in den engen Zusammenhang zu versenken, der zwischen seinem Priestertum und dem Geheimnis seiner Person besteht. Das Priestertum Christi ist nichts »Zufälliges«; es ist keine Aufgabe, die er genauso gut hätte ausschlagen können. Das Priestertum gehört vielmehr zu seiner Identität als menschgewordener Gottessohn, es gehört zum Gottmenschen. Alles, was sich in den Beziehungen zwischen der Menschheit und Gott abspielt, läuft nunmehr über Christus: »Niemand kommt zum Vater außer durch mich« (Joh 14, 6). Darum ist Christus der Hohepriester eines ewigen und allumfassenden Priestertums, wofür der erste Bund vorbereitendes Sinnbild war (vgl. Hebr 9, 9). Er übt es in Fülle aus, seitdem er sich als Hoherpriester »zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel gesetzt hat« (Hebr 8, 1). Seitdem hat sich der Stellenwert des Priestertums in der Menschheit geändert: Es gibt nur mehr ein einziges Priestertum, nämlich das Priestertum Jesu Christi, an dem man in unterschiedlicher Weise teilhaben und mitwirken kann.
Sacerdos et Hostia
8. Gleichzeitig wurde auch der Sinn des Opfers, die Opferhandlung schlechthin, zur Vollendung gebracht. Christus hat auf Golgota sein eigenes Leben zu einer Opfergabe von ewigem Wert gemacht: zu einem »Erlösungsopfer«, das für immer den von der Sünde unterbrochenen Weg der Gemeinschaft mit Gott wieder eröffnet hat.
Licht in dieses Geheimnis bringt der Hebräerbrief, indem er Christus einige Verse aus dem 40. Psalm sprechen läßt: »Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen... Ja, ich komme..., um deinen Willen, Gott, zu tun« (Hebr 10, 5-7; vgl. Ps 40, 7-9). Nach dem Verfasser des Briefes wurden diese prophetischen Worte von Christus bei seinem Eintritt in die Welt gesprochen. Sie bringen sein Geheimnis und seine Sendung zum Ausdruck. Ihre Verwirklichung beginnt also schon im Augenblick der Menschwerdung, auch wenn diese ihren Höhepunkt im Opfer von Golgota erreicht. Seitdem ist jede Opferhandlung des Priesters nur die erneute Darstellung des einzigen, ein für allemal erbrachten Opfers Christi an den Vater.
Sacerdos et Hostia! Priester und Opfer. Dieser Gesichtspunkt des Opfers macht zutiefst die Eucharistie aus. Zugleich ist er die grundlegende Dimension des Priestertums Christi und infolgedessen auch unseres Priestertums. Lesen wir in diesem Licht die Worte, die wir täglich sprechen und die zum ersten Mal hier im Abendmahlssaal erklungen sind: »Nehmet und esset alle davon: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird... Nehmet und trinket alle daraus: Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden«.
Das sind die Worte, die von den Evangelisten und von Paulus in Fassungen bezeugt werden, die in ihrem Kern übereinstimmen. An diesem Ort wurden sie am späten Abend des Gründonnerstags von Christus ausgesprochen. Indem er den Aposteln seinen Leib zu essen und sein Blut zu trinken gab, brachte er die tiefe Wahrheit der Handlung zum Ausdruck, die er kurz danach auf Golgota vollbringen sollte. Denn im eucharistischen Brot ist derselbe Leib, der von Maria geboren wurde und am Kreuz hingeopfert wurde:
Ave verum Corpus natum de Maria Virgine,
vere passum, immolatum in cruce pro homine!
9. Muß man nicht immer wieder zu diesem Geheimnis zurückkehren, in dem das ganze Leben der Kirche eingeschlossen ist? Dieses Sakrament hat zweitausend Jahre lang unzählige Gläubige gespeist. Aus ihm ist ein Gnadenstrom entsprungen. Wie viele Heilige haben in ihm nicht nur das Unterpfand, sondern gleichsam die Vorwegnahme des Paradieses gefunden!
Lassen wir uns mitreißen von der betrachtenden Bewegung, die so reich ist an Poesie und Theologie! Aus ihr hat der hl. Thomas von Aquin im Pange lingua das Mysterium besungen. Das Echo jener Worte erreicht mich heute hier im Abendmahlssaal. Es klingt wie die Stimme der vielen, über die Welt verstreuten christlichen Gemeinden, der vielen Priester, Ordensleute und einfachen Gläubigen, die jeden Tag innehalten, um das eucharistische Geheimnis anzubeten:
Verbum caro, panem verum verbo carnem efficit
fitque sanguis Christi merum, et, si sensus deficit,
ad firmandum cor sincerum sola fides sufficit.
Tut dies zu meinem Gedächtnis
10. Das Geheimnis der Eucharistie, in dem der Tod und die Auferstehung Christi in Erwartung seiner Wiederkunft verkündet und gefeiert werden, ist das Herz des kirchlichen Lebens. Für uns hat es zudem eine ganz besondere Bedeutung: Denn es steht im Mittelpunkt unseres Amtes. Sicher beschränkt sich dieses nicht auf die Eucharistiefeier, umfaßt es doch einen Dienst, der von der Verkündigung des Wortes über die Heiligung der Menschen durch die Sakramente bis zur Leitung des Gottesvolkes in Gemeinschaft und Dienst reicht. Aber die Eucharistie ist der Punkt, von dem strahlenförmig alles ausgeht und auf den alles zustrebt. Zusammen mit der Eucharistie ist im Abendmahlssaal auch unser Priestertum entstanden.
»Tut dies zu meinem Gedächtnis« (Lk 22, 19): Die Worte Christi wurden, auch wenn sie an die ganze Kirche gerichtet sind, denjenigen als eine besondere Aufgabe anvertraut, die den Dienst der ersten Apostel weiterführen sollen. Ihnen trägt Jesus die soeben vollzogene Handlung auf, das Brot in seinen Leib und den Wein in sein Blut zu verwandeln. Es ist die Handlung, in der Christus sich als Priester und Opfer zum Ausdruck bringt. Er will, daß von nun an dieses sein Tun durch die Hände der Priester in sakramentaler Weise auch zum Tun der Kirche wird. Wenn er sagt »tut dies«, weist er nicht nur auf die Handlung hin, sondern auch auf das zum Handeln aufgerufene Subjekt. So setzt er das Amtspriestertum ein, das auf diese Weise zu einem der grundlegenden Elemente der Kirche wird.
11. Diese Handlung soll man »zu seinem Gedächtnis« begehen: Das ist ein wichtiger Hinweis. Die von den Priestern gefeierte eucharistische Handlung soll in jeder christlichen Generation, an jedem Ort der Erde das von Christus vollbrachte Werk gegenwärtig machen. Überall dort, wo man Eucharistie feiert, wird auf unblutige Weise das blutige Opfer von Golgota gegenwärtig gemacht. Christus, der Erlöser der Welt, wird selbst gegenwärtig sein.
»Tut dies zu meinem Gedächtnis«. Wenn man diese Worte hier zwischen den Mauern des Abendmahlssaales neu hört, ist man versucht, sich die Gefühle Christi vorzustellen. Es waren die dramatischen Stunden, die seinem Leiden und Sterben vorausgingen. Der Evangelist Johannes läßt die betrübten Töne in der Rede des Meisters anklingen, der die Apostel auf seinen Abschied vorbereitet. Welch tiefe Trauer sieht er in ihren Augen: »Vielmehr ist euer Herz von Trauer erfüllt, weil ich euch das gesagt habe« (Joh 16, 6). Aber Jesus macht sie wieder froh: »Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch« (Joh 14, 18). Wenngleich ihn das Ostermysterium ihren Blicken entzieht, wird er mehr denn je in ihrem Leben gegenwärtig sein. Das gilt für »alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28, 20).
Eine Gedächtnisfeier, die Gegenwart schafft
12. Christi Gegenwart wird sich in vielen Formen äußern. Aber die erhabenste wird sicher die Eucharistie sein: Sie ist nicht bloße Erinnerung, sondern eine Gedächtnisfeier, die Gegenwart schafft; kein symbolischer Hinweis auf die Vergangenheit, sondern lebendige Gegenwart des Herrn inmitten der Seinen. Garant dafür wird stets der Heilige Geist sein. Ständig wird er bei der Eucharistiefeier ausgegossen, damit das Brot und der Wein zum Leib und Blut Christi werden. Es ist derselbe Geist, der am Abend des Ostertages in diesem Abendmahlssaal die Apostel »angehaucht« hat (vgl. Joh 20, 22) und der sie später am Pfingsttag mit Maria hier versammelt fand. Damals kam er als heftiger Sturm und Feuer über sie (vgl. Apg 2, 1-4) und spornte sie an, in alle Himmelsrichtungen hinausgehen, um das Wort zu verkünden und das Volk Gottes zu sammeln im »Brechen des Brotes« (vgl. Apg 2, 42).
13. Zweitausend Jahre nach der Geburt Christi müssen wir in diesem Jubiläumsjahr in besonderer Weise an die Wahrheit dessen erinnern und darüber nachdenken, was wir seine »eucharistische Geburt« nennen könnten. Gerade der Abendmahlssaal ist der Ort dieser »Geburt«. Hier hat für die Welt eine neue Gegenwart Christi begonnen, eine Gegenwart, die ununterbrochen überall dort entsteht, wo man Eucharistie feiert und ein Priester seine Stimme Christus leiht, indem er die heiligen Einsetzungsworte spricht.
Diese eucharistische Gegenwart hat die zweitausendjährige Geschichte der Kirche durchzogen und wird sie bis an deren Ende begleiten. So eng mit diesem Geheimnis verbunden zu sein, ist für uns eine Freude und Quelle der Verantwortung zugleich. Dessen wollen wir uns heute mit dem von Staunen und Dankbarkeit erfüllten Herzen bewußt werden. Mit diesen Gefühlen laßt uns eintreten in das österliche Triduum, in dem wir das Leiden, Sterben und die Auferstehung Christi feiern.
Das Vermächtnis des Abendmahlssaales
14. Meine lieben Brüder im Priesteramt! Wenn ihr euch am Gründonnerstag in den Kathedralen um eure Bischöfe versammelt, wie die Priester der Kirche von Rom sich um den Nachfolger Petri scharen, dann empfangt diese Gedanken, die ich in der eindrucksvollen Atmosphäre des Abendmahlssaales betrachtet habe! Es ließe sich wohl kaum ein Ort finden, der besser an das eucharistische Geheimnis und zugleich an das Geheimnis unseres Priestertums zu erinnern vermag. Bleiben wir dem »Vermächtnis« des Abendmahlssaales treu.
Es ist das große Geschenk des Gründonnerstags. Feiern wir stets mit Hingabe und Eifer die heilige Eucharistie. Verweilen wir häufig und lange in Anbetung vor dem eucharistischen Christus. Laßt uns gleichsam »in die Schule« der Eucharistie gehen. In ihr haben im Laufe der Jahrhunderte so viele Priester den von Jesus beim Letzten Abendmahl verheißenen Trost gefunden, den geheimen Schlüssel, um einen Ausweg aus der Einsamkeit zu finden, den Halt, um ihre Leiden zu ertragen, die Nahrung, um nach jeder Entmutigung wieder neu aufzubrechen, die innere Kraft, um ihre Entscheidung zur Treue zu bestärken. Das Zeugnis, das wir dem Volk Gottes in der eucharistischen Feier werden geben können, hängt sehr von unserem persönlichen Verhältnis zur Eucharistie ab.
15. Entdecken wir im Lichte der Eucharistie unser Priestertum neu! Lassen wir unsere Gemeinden diesen Schatz wiederentdecken bei der täglichen Feier der heiligen Messe und besonders bei der festlichen Versammlung zum Sonntagsgottesdienst. Möge dank eurer apostolischen Arbeit die Liebe zu dem in der Eucharistie gegenwärtigen Christus wachsen. Das ist eine Aufgabe, der in diesem Jubiläumsjahr eine besondere Bedeutung zukommt. Ich denke an den Internationalen Eucharistischen Kongreß, der unter dem Thema Jesus Christus einziger Retter der Welt, Brot für unser Leben vom 18. bis 25. Juni in Rom stattfinden wird: ein zentrales Ereignis des Großen Jubiläums, das ein »intensiv eucharistisches Jahr« (Tertio millennio adveniente, 55) sein soll. Der erwähnte Kongreß wird genau diesen engen Zusammenhang herausstellen zwischen dem Geheimnis der Fleischwerdung des Wortes und der Eucharistie, dem Sakrament der Realpräsenz Christi.
Ich sende euch aus dem Abendmahlssaal den eucharistischen Friedensgruß. Das Bild Jesu Christi, der beim Letzten Abendmahl von den Seinen umgeben war, lasse das Herz eines jeden von uns für Brüderlichkeit und Gemeinschaft schlagen. Große Maler haben sich darin versucht, das Antlitz Christi zwischen seinen Aposteln in der Szene vom Letzten Abendmahl zu zeichnen. Wie könnte man hier das Hauptwerk Leonardos vergessen? Aber nur die Heiligen vermögen mit der Intensität ihrer Liebe in die Tiefe dieses Geheimnisses vorzudringen, indem sie gleichsam wie Johannes ihr Haupt an die Brust des Herrn lehnen (vgl. Joh 13, 25). Hier befinden wir uns in der Tat auf dem Gipfel der Liebe: »Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung«.
16. Ich möchte diese Betrachtung, die ich euch voll Liebe ans Herz lege, mit den Worten eines alten Gebetes schließen:
»Wir danken dir, unser Vater,
für das Leben und die Erkenntnis,
die du uns offenbar gemacht hast durch Jesus,
deinen Knecht.
Dir sei Herrlichkeit in Ewigkeit.
Wie dieses gebrochene Brot
zerstreut war auf den Bergen
und zusammengebracht eines geworden ist,
so soll zusammengeführt werden deine Kirche
von den Enden der Erde in dein Reich [...]
Du, allmächtiger Herrscher,
hast das All geschaffen
um deines Namens willen,
Speise und Trank hast
du den Menschen gegeben
zum Genuß, damit sie dir danken.
Uns aber hast du geistliche Speise und Trank
und ewiges Leben
durch deinen Sohn geschenkt [...]
Dir sei die Herrlichkeit in Ewigkeit!«
(Didaché 9, 3-4; 10, 3-4).
Aus dem Abendmahlssaal umarme ich im Geiste euch alle, geliebte Brüder im Priesteramt, und segne euch aus ganzem Herzen.
Jerusalem, am 23. März 2000.
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