Freitag, 26. Juli 2013

Entschuldigung, ich bin schuldig

Wie wir die Schulden der leidenden Seele abbauen können

Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums leidet ein beachtlicher Teil der Menschen in Deutschland an einer psychischen Krankheit. Depressionen, Psychosen, Neurosen, Zukunftsangst, Versagensangst, Stress, Schuldgefühle und viel anderes Ungeziefer befallen die Seelen nicht gerade weniger Zeitgenossen. Die Schlangen vor den Sprechzimmern der Therapeuten werden länger: ob Paar-, Gruppen oder Einzeltherapie, die Branche gedeiht, das Geschäft mit der kranken Psyche blüht, weil die Seelen welken. Wie anders klingt die Botschaft: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich werde euch Ruhe verschaffen.“

„Sünde“ - ein Wort, das wir heute oft nur im Zusammenhang mit zu viel Kalorien oder einem Mord in den Mund nehmen („Heute habe ich wieder einmal gesündigt“ „Sünde? Ich habe doch niemanden umgebracht.“). Dabei ist sie die Ursache so vieler, ja der meisten Probleme unter den Menschen.

Was ist eine Sünde? Sünde ist immer übertriebene Ichbezogenheit, Egoismus. Sie ist immer Abwendung von Gott und/oder den Menschen und Hinwendung zu sich selber – ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Diese Tendenz finden wir in uns seit dem ersten Tag unseres Daseins – die Erbsünde lässt grüßen. Gott weiß als unser guter Vater und geistiger „Erbauer“ um unsere Leiden, die jeder von uns tief in unserer Seele mit sich herumträgt und die wir entweder mehr oder weniger geschickt verbergen, überspielen oder die dann zutage treten, wenn wir einfach nicht mehr können.

Jeder Mensch kennt Schuld, Gewissensbisse, Angst, innere Leere, Trauer und Frustration. Und Gott kennt sie auch. Aber er will diese Nöte nicht, weil sie uns wehtun und uns leiden lassen. Die Grundregel unseres Lebens lautet: Wir gehören zu Gott und Gott gehört zu uns. Die Handlungsmaxime sind die zehn Gebote. Wer dagegen handelt, wird sehr wahrscheinlich seelischen Schiffbruch erleiden; mehr oder weniger, früher oder später.

Sünde – übersteigerte Selbstbezogenheit – kann ganz klein sein oder sich bis zum monströs verblendeten Egoismus steigern, der nur noch sich selber sieht und über Leichen geht. Sie kann ganz innerlich sein oder offensichtlich äußerlich zutage treten. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen zwei Arten von Sünde: den sogenannten leichten (oder „lässlichen“) und den schweren (oder „Tod-“) Sünden. Letztere besitzen drei gleichzeitig vorhandene Kriterien: eine echte Freiwilligkeit, klares Bewusstsein und eine relativ große Wichtigkeit der Tat. Wer also gleichzeitig „w-issentlich“, „w-illentlich“ und in „w-ichtiger“ Sache (die drei „W“) sündigt, trennt sich dadurch freiwillig von Gott und bleibt solange von ihm getrennt, bis er sich ihm wieder freiwillig zuwendet und seine Abkehr rückgängig macht (daher der Begriff „Todsünde“, weil die Beziehung des Menschen zu Gott in diesem Zustand tot ist). Wer dagegen vielleicht nicht weiß, dass er eine Sünde begeht oder nicht wirklich frei will oder in etwas nur Unwichtigem gegen die Gebote verstößt, begeht eine leichte oder lässliche Sünde. Diese schwächt zwar die Beziehung zu Gott, aber zerstört sie nicht. Der Übergang zwischen leichter und schwerer Sünde ist fast fließend, und offensichtlich kann kein Außenstehender klar darüber urteilen, da er ja weder die innere Freiwilligkeit noch das Bewusstsein der Menschen durchdringen kann (Gut, dass nicht wir die Richter der anderen sein müssen, sondern Gott das eines Tages übernehmen wird! Und zwar ganz vollkommen und wahrheitsgetreu!).

Hier könnten wir nun in eine komplizierte Einzelfalluntersuchung von Freiwilligkeit, Bewusstsein und Wichtigkeit übergehen, die aber dem Thema nicht dienen würde. Viel wichtiger als unsere Sünde (und wer kann sich davon freisprechen, sich nicht immer wieder zu wichtig zu nehmen und gegen die Liebe zu handeln) ist die Tatsache, dass Gott eben diese unsere Sünde durch seine Erlösung bereits prinzipiell zerstört und uns den Weg der Vergebung, Umkehr und des Neuanfangs eröffnet hat. Auch beim Thema unserer Sünde steht Gottes Liebe im Mittelpunkt!

Der erste Schritt zum Neubeginn besteht darin, dass wir Sünden überhaupt als solche erkennen. Und hier liegt wohl eines der Hauptprobleme des heutigen Menschen: es scheint ja alles erlaubt zu sein, wenn es nur „gut tut“ oder sich „gut anfühlt“. Das aber ist eine Lüge. Erlaubt ist nicht, was gut tut, sondern was wirklich gut „ist“, also sich an den Geboten und dem Naturrecht ausrichtet, die ja die Wegweiser Gottes für ein gelungenen Lebens sind. Da kann die Werbung „Geiz“ noch so sehr als „geil“ bezeichnen oder der blanke Egoismus als Selbstverwirklichung deklariert werden: letztlich muss der Mensch, müssen Du und ich, sich an dem wirklich Guten messen (lassen); und das ist Gottes Vorgabe, nicht die der Werbung oder die eines verbogenen Gewissens! Geiz wird nie gut sein, und Egoismus auch nicht!

Viele Menschen haben Angst davor, sich ihrer Sünde zu stellen. Und das ist nur allzu verständlich, wenn sie zu wenig von der wirklichen Vergebung durch Gott und seine Liebe wissen. Mit Schuld kann man nur umgehen, wenn man hoffen darf, „ent-schuldigt“ zu werden. Genau darin besteht die große gute Nachricht des Christentums: Gott hat unsere Sünden gesehen und erlitten, doch nicht gerächt, sondern aus Liebe selber getragen, vernichtet und ist bereit, uns zu vergeben – weil er uns liebt. Nicht nur einmal, zweimal oder ein paar Mal, sondern immer wieder. Voraussetzung: Dass wir die Vergebung mit aufrichtigem Herzen wollen!

Welche Erleichterung, Freude und Erlösung: Unsere Sünden, alle und jede einzelne, möchte Gott vergeben und uns die Last der Schuld aus unserer Seele wegnehmen. Und Schuld lastet schwer – wenn wir ehrlich sind. Dafür hat der Schöpfer wieder ein Sakrament – ein sichtbares Zeichen unsichtbarer Gnade – eingesetzt: Die Beichte oder das „Sakrament der Versöhnung“. Ich bin sicher und sage das aus persönlicher Erfahrung als Beichtender und als Beichtspender, dass dieses Sakrament eines der schönsten und wichtigsten Geschenke Gottes an uns Menschen ist, wo wir ihn am direktesten in unserer Seele erfahren können. Wie viele Menschen habe ich erlebt, die nach 5, 10, 20 oder 40 Jahren endlich wieder gebeichtet haben und mit Tränen in den Augen (Freudentränen) den Beichtstuhl verlassen haben: „Endlich kann ich wieder frei sein.“ „So lange habe ich darunter gelitten, dass ich damals… getan habe. Nun spüre ich endlich, dass auch Gott mir vergeben hat.“ „Ich fühle mich so leicht, so frei, so… erlöst.“ Das ist die Freude, die Gott uns im Sakrament der Versöhnung schenken will: die Freude, wieder ein neues (inneres) Leben zu beginnen; den Weg der Ehrlichkeit mit sich selber neu zu beschreiten; altes Unrecht gutgemacht zu wissen, weil Gott das tut. Und wie gut, dass Gott auch in das andere Leben hinüberreicht, wo man nicht selten noch etwas mit einem Verstorbenen gutzumachen hat. Das alles geschieht und ist möglich in der Beichte.

Dass der Mensch von heute dieses Sakrament des inneren Friedens so vergessen hat, gehört wohl zu den traurigsten Kapiteln des Christentums unserer Zeit. Als Folge davon sehen wir die langen Schlangen bei den Psychologen und Psychiatern. Aber eine Wiederentdeckung, vor allem durch die Jugendlichen, ist im Gange.

An Wallfahrtsorten, bei Exerzitien, in den jungen Bewegungen der Kirche, bei Weltjugendtagen usw. findet die Beichte wieder den Platz, der ihr zukommt: einen ganz zentralen Platz der Freiheit und Freude des christlichen Lebens. Zu Tausenden strömen die Menschen zum gütigen Herzen Gottes und hören die Worte: „Ich spreche dich los von Deinen Sünden. Geh jetzt in Frieden.“

„Friede sei mit euch. Frieden hinterlasse ich Euch.“ Es ist der Friede unserer Seele, den wir dann finden, wenn Gott bei der Beichte diese Seele betritt, durchschreitet und sie von jeder Schuld befreit. Wie er das tut, und was wir dazu tun können, darüber wollen nun sprechen.

 


Dies ist das dreizehnte Kapitel aus dem Buch "Einmal Gott und zurück" von P. Klaus Einsle. Dieses Buch basiert auf einer Serie von Artikeln in unserem L-Magazin.

Additional Info

  • Untertitel:

    Wie wir die Schulden der leidenden Seele abbauen können

  • Datum: Nein
  • Druck / PDF: Ja

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