Gott ist Geist – reiner Geist, unendlich, allgegenwärtig, allwissend und allmächtig. Doch würden wir bei dem „Gott der Philosophen“ stehen bleiben, entspräche diese Beschreibung der Wahrheit über ihn zwar etwas mehr, bliebe aber dennoch sehr unvollständig. Gott ist nicht nur reines, absolutes, unendliches Denken und Wollen; nicht ein steriles, kaltes geistiges Wesen. Die Heilige Schrift gibt uns eine weitere klare, direkte und ganz wichtige Auskunft über Gott: „Gott ist die Liebe“ (1 Joh 4,9). Dies scheint der wichtigste Wesenszug unseres geistigen Gottes zu sein. Der heilige Johannes lässt alle seine Briefe um dieses Thema kreisen, und Christus selbst, der menschgewordene Gott, spricht von der Liebe als dem höchsten Gebot. „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben... und deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst“ (vgl. Mk 12,29-31).
Was bedeutet es aber, dass Gott die Liebe ist? Wie ist Liebe im christlich-theologischen Sinne zu verstehen? Leider ist dieses Wort heutzutage einer großen Bedeutungsinflation anheimgestellt, so dass man mit ihm gleichermaßen die Befriedigung tierähnlicher Triebe als die höchste Form der aufopfernden Selbsthingabe bezeichnet.
Was also ist Liebe? Die klassischen Sprachen verwenden für die verschiedenen Arten der Liebe verschiedene Worte; sie unterscheiden im Wesentlichen vier beziehungsweise fünf Arten der Liebe: freundschaftliche Liebe, bedürftige (Kindes-) Liebe, sexuelle Liebe, Zuneigung; und schließlich die Liebe, die wir im Lateinischen mit dem Wort caritas (griechisch: agape) bezeichnen. Die Heilige Schrift bezieht sich, wenn sie von Liebe spricht, zum allergrößten Teil diese letztgenannte Art: die Hingabe an eine andere Person, damit es diesem Gegenüber gut geht; ohne als Gegenleistung etwas für sich selbst zu erwarten. „Liebe“ könnten wir also auch mit „Hingabe“ übersetzen. „Liebe deinen Nächsten“ bedeutet so viel wie: „Gib dich deinem Nächsten hin“ oder: „Mache, dass es deinem Nächsten gut geht.“
Wenn Johannes nun sagt, dass Gott die Liebe ist, dann will er damit ausdrücken, dass Gott in seinem innersten Wesen Hingabe ist; leidenschaftliches Interesse, aktives Suchen, unendliches Verlangen danach, für „den anderen“ da zu sein, ja ihm zu dienen, um ihn glücklich zu machen. Das gilt zunächst für das innere Leben der drei Personen Gottes (Dreifaltigkeit), als auch dann für die Schöpfung und die Beziehung Gottes zu uns Menschen in der Geschichte und im eigenen Leben. Gott will, dass es dem Menschen wirklich gut geht, und um das zu erreichen, gibt er sich ihm hin, ist für ihn da.
Diese selbstlose Hingabe in einem Menschen verwirklicht zu sehen, ist wunderbar. Denken wir an eine Mutter Teresa, die nur noch für die anderen gelebt und sich völlig in dem Wunsch, ihnen Gutes zu tun, verzehrt hat. Oder denken wir an Menschen, die uns nahe stehen und die scheinbar nur für die anderen leben!
Diese Eigenschaft jedoch in Gott zu betrachten, beeindruckt noch viel mehr: denn in Gott ist die Hingabe – wie auch seine Fähigkeiten des Kennens und Wollens – unbegrenzt. Sie hängt nicht von der Antwort des Menschen ab, hat keine zeitlichen Grenzen, lässt sich auch von der eventuell ablehnenden Antwort des Gegenübers nicht einfach zurückweisen, sondern wirbt beständig und respektvoll weiter um unser Herz.
Gott tut das, weil er Liebe ist, weil er es unendlich gut mit dem Menschen meint. Gott ist alles, was dieses Wort „Liebe“ in seinem tiefsten Sinn einschließt. Denken Sie einmal darüber nach, was für Sie einen wirklich liebenden Menschen ausmacht: dass er Sie mag, Interesse an Ihnen zeigt, gut zu Ihnen ist, sie froh machen möchte… Die Vollkommenheit dieser und vieler anderer Eigenschaften finden wir in Gott. Und alles, was in unserem Denken dieser vollkommenen Liebe widerspricht, müssen wir reinigen, wenn wir Gott – und damit unseren christlichen Glauben – besser verstehen wollen. In Gott gibt es keine Gleichgültigkeit, keine Härte, kein Unverständnis. Gott ist Güte, Sanftmut, Demut („ich bin gütig und von Herzen demütig“, vgl. Mt 11,29), Liebenswürdigkeit, Respekt. In Gott gibt es keinen ungerechten Zorn oder Hass. Gott ist nicht der „strafende Gott“, der für so manchen Menschen ein Albtraum ist. Dieser Gott existiert nicht. Gott ist die Liebe!
Lassen Sie mich einen Moment mit kindlichen Worten über Gottes Herz sprechen: Gott träumt von uns Menschen, er will nichts anderes tun, als den ganzen Tag nur an uns denken und uns lieben. Er sehnt sich nach unserer Antwort der Liebe, freut sich über unsere guten Taten, trauert über unsere Herzenshärte. Gott zwingt niemals, weil die Liebe nicht zwingt. Sie bietet an und hofft, wartet und klopft an. Aber dann wird sie still, wartet und verbleibt in sehnsüchtiger Zurückhaltung. All das darf aber nicht dazu verleiten zu denken, dass Gott irgendwie schwach oder kindlich wäre. Die selbstlose Liebe Gottes ist anspruchsvoll. Sie will das Beste von und für uns. Gerade deshalb spricht sie den Menschen tiefer an und nimmt ihn stärker in die Pflicht als irgendein äußeres Gesetz oder eine irdische Macht. Diese Sehnsucht nach dem Wohl des Menschen sprosst aus einer sehr starken und echten Liebe – eines unendlichen Gottes – hervor.
Gott ist ein unendliches, staunenswertes Geistwesen, dessen tiefste Eigenschaft die Hingabe, die Liebe ist. Welch ein Glaube! Welche Freude, so einen Gott zu haben! Nähern wir uns ihm Tag für Tag, und wir werden immer mehr Freude und Sicherheit im Leben erfahren, denn Gott liebt!
Die Liebe beschreibt Gott in seinem innersten Wesen. Beachtlich, dass Papst Benedikt diese Wahrheit für seine erste Enzyklika („Gott ist die Liebe“ – Deus caritas est) zum Hauptthema erkoren hat! Diese Liebe ist auch der Grund dafür, dass Gott sich „eines Tages“ dazu entschlossen hat, Wesen zu schaffen, die ihm ähnlich sind (vgl. Gen 1,26), um mit ihnen seine Liebe zu teilen. Doch bevor wir uns der Schöpfung von Universum und Mensch zuwenden, wollen wir noch einmal Gott selber betrachten. Das ist deshalb so wichtig, weil wir im Wesen Gottes das Urbild unseres eigenen Daseins finden.
Dies ist das zweite Kapitel aus dem Buch "Einmal Gott und zurück" von P. Klaus Einsle. Dieses Buch basiert auf einer Serie von Artikeln in unserem L-Magazin.