Freitag, 26. Juli 2013

Er heilt unsere Wunden

Gott auf der Suche nach seinen Menschen

Heute gibt es nur wenige Menschen, die heilig sein wollen. Manche erschrecken sogar, wenn man sie danach fragt. Aber viele, wenn nicht alle, wollen gesund sein. Was „heilig sein“ eigentlich bedeutet, ist den Wenigsten bekannt; und darum streben sie es wohl auch nicht an. Wir können sagen, dass „heilig sein“ direkt mit „heil sein“, also „gesund sein“ in Zusammenhang steht, sich aber nicht auf den Körper, sondern auf die Seele des Menschen und sein Verhältnis zu Gott bezieht. Einen Heiligen könnte man also auch einen seelisch gesunden Menschen nennen, der in inniger Freundschaft mit seinem Schöpfer lebt; eben jemand, der durch Gottes Gnade die von der Sünde verletzte, seelische Stärke und Klarheit wieder gefunden hat und sie durch sein Mitwirken bewahrt.

Gott, der seine Menschengeschöpfe trotz der Erblast und der persönlichen Vergehen immer noch liebt – und immer lieben wird –, will unsere Seelen gesunden lassen, will uns dieses innere Heilsein zurückgeben. Obwohl unsere Ureltern wie auch unsere Vorfahren und jeder von uns sein seelisches Heilsein durch persönliche freie Vergehen mehr oder weniger verletzt hat, geht Gott dem Einzelnen nach, um ihn wieder für das Gute zu gewinnen.

So hat auch in der biblischen Offenbarung der Sündenfall nicht das letzte Wort, sondern es entfaltet sich die „Heils- Geschichte“, d.h. die Geschichte zwischen Gott und den Menschen, in der der liebende Dreifaltige versucht, den Menschen wieder zu heilen, seelisch gesunden zu lassen und zur Fülle zu führen. Letzterer jedoch läuft immer wieder davon, zieht sich in seine eigene, angstvolle und zukunftsunsichere kleine Welt zurück. In die Folgen der dramatischen Entscheidung gegen Gott durch die Ursünde verstrickt, sucht der Mensch sein Glück, das er aber ohne Gott nicht finden kann.

Sehr vereinfacht dargestellt können wir uns nun die Menschen vorstellen, wie sie tief in ihrem Innern den Funken der Ewigkeit spüren, Gott ersehnen, doch gleichzeitig der Same des Misstrauens, des Egoismus, der persönlichen Einsamkeit aufgeht. Welch ein Schmerz, welch eine Tragödie, welch ein Gott! Er geht uns immer wieder hinterher, weil er liebt. Er kann und will nicht anders, als seine Kinder zu sich zu holen. Wie ein gejagtes Wild hetzt der Mensch davon, auf der Suche nach sich selbst und nach Zufriedenheit, mehr und mehr verstrickt im Dickicht seiner verwundeten Seele; eine dahinirrende Menschheit: Kain und Abel, die Sintflut, der Turmbau zu Babel mit der Sprachverwirrung. Nach verschiedenen Interventionen Gottes, die uns durch die Heilige Schrift überliefert sind (Buch Genesis), tut Gott einen entscheidenden Schritt: Er ruft Abraham (vgl. Genesis 12). Aus diesem durch die liebende Initiative des Dreieinigen auserwählten Menschen wird ein Volk hervorgehen, das der Dynamik des Un-Heil-Seins durch die Sünde die Kraft des Segens und des Heils entgegenstellen soll: das Volk Israel.

Ich möchte nun in loser Aufeinanderfolge die wesentlichen Schritte und Ereignisse der Geschichte Gottes mit dem auserwählten Volke aufzählen. Jeder einzelne dieser Schritte lässt uns die liebende Initiative Gottes erkennen. Er sucht seine Menschen; er plant langfristig, durch dieses Volk der ganzen Menschheit ihre innere Seelenharmonie und ihre Liebe zu Gott zurückzugeben. Welch grandioser Plan eines Allmächtigen, der sich freiwillig an die Freiheit der Menschen gebunden hat! So haben diese (heils-)geschichtlichen Ereignisse eine direkte Beziehung zu jedem von uns, denn wir sind heute diese Menschen, die Gott sucht und heil machen möchte.

Gott wählt also inmitten einer Menschheit, die ihn mehr oder weniger aus dem Auge verloren hat, einen Menschen aus und lädt ihn und seine Sippe ein, ihr Land zu verlassen, um dorthin zu ziehen, wo der Herr sie hinführen möchte. Was hat Gott vor? Warum erwählt er diesen Abraham? Seine auf Jahrhunderte angelegte Idee ist folgende: ein kleines Volk persönlich führen, erziehen, immer mehr an sich binden und ihm den einzig wahren Gott offenbaren; dieses Volk rein halten und immer tiefer hinein in das Geheimnis führen, das die Menschen durch die Abwendung von ihm verloren haben; durch dieses Volk dann der ganzen Welt den Erlöser und „Heiland“ (den, der den Menschen das Heil ihres inneren Wesens wieder zurückgibt) zu schenken. Das sollte ca. 1.700 Jahre dauern: welch ein Heilsplan, welche Geduld und Gnade eines liebenden Gottes. Der Bund, den er mit den ersten Menschen schloss, der aber durch der Menschen Sünde zerrissen wurde, diesen Bund stellt Gott immer wieder neu her. Alles das können wir im Alten Testament nachlesen.

So geht Gott also den ersten Schritt, ruft Abraham („Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.“) und lädt ihn in ein neues Land ein. Gott wacht über dieses kleine auserwählte Volk. Abrahams Frau Sara bringt Isaak zur Welt, und Gott will sehen, ob Abraham ihm schon ganz vertraut; daher die Bitte, ihm seinen Sohn aufzuopfern. Isaak hat zwei Söhne, Esau und Jakob. Jakob erschleicht sich durch eine List das Erstgeburtsrecht und führt so die Linie seiner Vorfahren weiter. Er ist es, dessen Namen von Gott abgeändert wird: „Gott sprach zu ihm: Dein Name ist Jakob. Dein Name soll jedoch nicht mehr Jakob lauten, sondern Israel soll dein Name sein. Er gab ihm also den Namen Israel.“ (Gen 35,10). Mit der Zeit wurde dieser Name auf das ganze auserwählte Volk übertragen.

Dieser Jakob-Israel hat zwölf Söhne, aus denen „die zwölf Stämme Israels“ hervorgehen. Den Lieblingssohn Israels, Josef, hassen seine Brüder und eines Tages – statt ihn zu töten – verkaufen sie ihn an Händler, die ihn nach Ägypten bringen. Dort findet er langsam das Vertrauen des Pharao und wird zum zweitmächtigsten Mann Ägyptens. Dadurch ist er in der Lage, in einer sieben Jahre währenden schweren Hungersnot seinem Vater und seinen Brüdern das Überleben zu sichern. Das ganze Volk Israel zieht nach Ägypten und wird dort im Laufe mehrerer Generationen überaus groß. Während all dieser Zeit begleitet Gott sein auserwähltes Volk und führt es, immer mit der Absicht, es zu erziehen, von falschem Glauben zu reinigen und es unbeschadet inmitten einer Welt von falschen Göttern zu führen, um seinen Bund mit den Menschen immer mehr zu festigen.

Die Bibel beschreibt den mit Gottes Hilfe vollbrachten Auszug aus Ägypten: Das kleine Stämmlein Abrahams vom Tag des Rufes (ca. 70 Menschen) ist inzwischen zu einem sehr großen Volk herangewachsen (mehrere hunderttausend Personen), so dass der Pharao es mit der Angst zu tun bekommt. In dieser Situation offenbart sich Gott dem Mose auf besondere Weise: im brennenden Dornbusch. Er sagt: „Ich bin der ,Ich-bin‘ “, ein rein geistiges ewig seiendes Wesen (vgl. Exodus 3,14). Auf wundersame Weise führt Gott durch Mose sein Volk hinaus in die Wüste, es von allen menschlichen Sicherheiten loslösend, damit es einzig ihm vertraut.

Bewundern wir, wie alle diese Taten Gottes das gutmachen und wiederherstellen wollen, was die Abwendung vom Allmächtigen zerstört hat: das Vertrauen auf Gott, die Erkenntnis des einen wahren Herrn, die Loslösung von allzu starken Bindungen an das Materielle und Weltliche. Die innere Gesundung des Menschen hin zu Freiheit und Harmonie. Gott geht sicheren Schrittes seinen Weg des Heils. Die ganze nun folgende Geschichte des Schöpfers mit den Israeliten kann letztlich folgendermaßen zusammengefasst werden:

1. Das Volk Israel wächst beständig an Zahl.

2. Gott zeigt sich diesem seinem Volk in wachsender Fülle. Die Vertrautheit nimmt zu. Mehr und mehr offenbart er sich als der Liebende, der Väterliche, der Barmherzige.

3. Die ethischen Regeln und Verhaltensweisen nähern sich immer mehr dem Ideal. Von der blinden Rache zur maßvolleren Vergeltungsgerechtigkeit („Auge um Auge, Zahn um Zahn“), von dort weiter zur Barmherzigkeit und schließlich hin zu einer Liebe sogar den Feinden gegenüber.

4. Wann immer das Volk Israel sich Gott zukehrt, geht es ihm gut. Geht es ihm lange gut, vergisst es Gott und wendet sich wieder von ihm ab. Daraufhin gerät es in Schwierigkeiten, wird verfolgt, verliert Kämpfe, wird gedemütigt und wendet sich wieder Gott zu.

Das Heilshandeln des Herrn geht unermüdlich weiter: Die Israeliten ziehen in das gelobte, von ihm versprochene Land. Dort siedeln sie sich fest an. Dann wollen sie Richter, die dem Volk vorstehen; später Könige. Einer der berühmtesten: König David, um das Jahr 1000 vor Christus. Sein Sohn ist König Salomon. Nach ihm teilt sich das Reich in zwei Teile. Gott schickt immer wieder Propheten, um sein Volk zu ermahnen, zu erziehen, an sich zu ziehen. Mal mehr, mal weniger lässt sich Israel ins Gewissen reden und wendet sich wieder zu Gott zurück.

Wegen ihrer Untreue geraten die Israeliten in die Gefangenschaft nach Babylon. Erst viele Jahre später können sie wieder zurückkehren und den Tempel neu aufbauen. Später kämpfen die treuen Makkabäer dafür, dass die Überlieferungen der Väter nicht verraten, sondern treu bewahrt werden (ca. 170 v. Chr.). Und so gelangen wir festen Schrittes zu dem Jahr, das die Geschichte Gottes mit den Menschen wie eine Wasserscheide in zwei teilt. Es ist das „Jahr Null“, in dem Gott einen großen, einzigartigen Schritt in der Wiederherstellung der Freundschaft des Menschen mit ihm tut.


Dies ist das sechste Kapitel aus dem Buch "Einmal Gott und zurück" von P. Klaus Einsle. Dieses Buch basiert auf einer Serie von Artikeln in unserem L-Magazin.

Additional Info

  • Untertitel:

    Gott auf der Suche nach seinen Menschen

  • Datum: Nein
  • Druck / PDF: Ja

Unterthemen

    

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