Ich bin sehr dankbar dafür, dass Gott mich zusammen mit meiner eineinhalb Jahre jüngeren Schwester Eva in einer katholischen Familie aufwachsen ließ. P. Albuin, mein Großonkel, ein Kapuzinerpater, der über fünf Jahre harter russischer Kriegsgefangenschaft überlebt hatte, taufte mich in meiner Heimatgemeinde Immenreuth (Bistum Regensburg). Meine Mutter führte uns zum Gebet und zum Empfang der Sakramente. Nach meiner Erstkommunion diente ich als Ministrant und später als Oberministrant in meiner Heimatpfarrei Herz Jesu.
Als Jugendlicher gefielen mir besonders Outdoor-Aktivitäten: Mit meiner Enduro fuhr ich gerne Straßen mit engen Kurven, knatterte über Feldwege und wirbelte dabei lange Staubfahnen auf. In den Wintermonaten trainierte ich Jugendliche im Riesenslalom. Während meiner Bundeswehrzeit nahm ich an Biathlonwettkämpfen teil und kurz danach an einem Marathon. Im Sommer ging ich zum Windsurfen und Segeln. Außerdem gefiel mir das Tanzen gut, es war wie ein Sport für mich. Die Musik kam ebenfalls nicht zu kurz: Acht Jahre lang hatte ich Klavierunterricht und später lernte ich autodidaktisch, Lieder auf der Gitarre zu begleiten.
Die wahren Helden
Im Rückblick erkenne ich, dass Gott mir mehr als einen Impuls schickte, um den Gedanken an die Berufung zum Priester in mir zu wecken. Im Alter von 12-13 Jahren interessierte ich mich sehr für die Lebensgeschichten von Märtyrern, die mir als die wahren Helden erschienen. Ich erinnere mich auch daran, dass in einer Predigt auf den bevorstehenden Mangel an Priestern hingewiesen wurde und ich in meinem Herzen den Wunsch spürte zu helfen. Aber aus Angst, mich zu öffnen, habe ich mit niemandem darüber gesprochen. So verblassten diese Eindrücke und stillen Rufe allmählich.
Leopard I – Kenia – Kilimandscharo
Nach dem Abitur leistete ich 15 Monate Wehrdienst als Richtschütze im Kampfpanzer „Leopard I". Anschließend begann ich an der Universität Regensburg Pharmazie zu studieren. In dieser Zeit las ich die Lebensgeschichte des heiligen Franziskus von Assisi und begeisterte mich für das Ideal der Armut. Da ich nach dem ersten Studienjahr den ganzen Sommerferien zur freien Verfügung hatte, entschloss ich mich, ein armes Land zu besuchen und die Menschen dort kennen zu lernen. Mit einer Gruppe des Missionsreferates der Diözese Regensburg reiste ich nach Kenia. Wie sehr beeindruckte mich dort der einfache Glaube der Menschen in den kleinen Dörfern! Jeden Sonntag kamen sie in einem Haus zusammen, um sich über einen Abschnitt des Evangeliums auszutauschen. Nur die Männer und die älteren Frauen durften das Wort ergreifen. Aber in einem einzigen kleinen Haus waren viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene zusammen, 60 bis 70 insgesamt, die das Wort Gottes hörten, darüber nachdachten und sich ihre Eindrücke mitteilten.
„Was für ein Kontrast!", dachte ich. Mir fielen die unzähligen Jugendlichen in Deutschland ein, deren Highlight an den Wochenenden darin besteht, mit dem Auto oder Motorrad von einer Diskothek zur anderen zu rasen. Viele von ihnen, auch mehrere meiner Freunde, kamen mit Alkohol und Drogen in Kontakt und erlitten schreckliche Unfälle, weil sie betrunken oder viel zu schnell unterwegs waren.
Da ich nun schon einmal in Afrika war, nutzte ich aber auch die Gelegenheit, um mir einen der Träume meines Lebens zu erfüllen: den Kilimandscharo mit seinen 5895 Metern Höhe zu besteigen und die große Savanne Serengeti bis zum Viktoriasee zu durchqueren. Aus nächster Nähe konnte ich Löwen, Leoparden, Zebras, Flamingos, verschiedene Arten von Affen, Büffel, Giraffen, Nilpferde und Elefanten beobachten.
Kurswechsel: Berufsschullehrer
Nach drei Semestern Pharmazie gerieten meine Studienpläne in eine tiefe Krise: Ich fragte mich, was ich tatsächlich mit meinem Leben tun wollte. Das Einzige, das mir sicher schien, war, dass ich nicht weiter Pharmazie studieren sollte. Ich schwankte hin und her zwischen verschiedenen Berufen, die mich anzogen: Lehrer, Ingenieur, Schreiner, Mönch (nach einer Woche in einem Benediktinerkloster) und Missionar. Um mir größere Klarheit zu verschaffen, unternahm ich mit dem Fahrrad eine kleine Pilgerfahrt an das Grab von Bernhard Lehner, eines Seminaristen aus dem Bistum Regensburg, dessen Seligsprechungsprozess im Laufen ist,. Dort und auch sonst betete ich viel um Licht und Führung.
Schließlich entschied ich mich, das Lehramt für berufliche Schulen in München zu studieren. Nach dem ersten Semester lud mich ein Studentenseelsorger, ein junger Jesuit, zu Schweigeexerzitien ein. Von neuem dachte ich über die Frage der Berufung nach. Doch nach der weisen Regel des hl. Ignatius, nach der man im Falle mangelnder Sicherheit am besten den bereits eingeschlagenen Weg fortsetzen soll, entschloss ich mich, mein Lehramtsstudium in den Fächern Metalltechnik und Englisch zu Ende zu bringen. Während der Studienzeit arbeitete ich außerdem zwei Jahre lang als Tutor der katholischen Studentengemeinde in München. Ich hatte auch verschiedene Freundinnen, machte aber immer wieder die Erfahrung, dass keine menschliche Liebe mein Herz völlig erfüllen konnte.
Gegen Ende meiner Studienzeit nahm ich an Gebetstreffen und Gottesdiensten von sogenannten Freikirchen teil, also von christlichen Gemeinschaften, die weder katholisch noch evangelisch sind und häufig von einer charismatischen Spiritualität geprägt sind. Ich fühlte mich stark von ihrem missionarischen Engagement angezogen. Lange Zeit spürte ich das Verlangen, mein Leben ganz für die Ausbreitung des Glaubens einzusetzen, z.B. als Bibelübersetzer für Sprachen, in denen es bis heute noch keine Übersetzung des Evangeliums gibt. Ich erinnere mich, dass ich mit einer Freundin oft das Gebet eines Heiligen betete, das sinngemäß so lautete: „Herr, lass mich einen Weg entdecken, für den es sich lohnt, das ganze Leben einzusetzen."
Was kann ich für diese Jugendlichen tun?
Ab 1994 arbeitete ich in Augsburg, Cham und Ansbach als Berufsschullehrer für Lehrlinge im Bereich Heizung und Sanitär und unterrichtete technisches Englisch. In diesen sechs Jahren machte ich die traurige Erfahrung, dass der Glaube unter den Jugendlichen immer weiter schwindet und kaum noch eine Bedeutung hat. Gleichzeitig spürte ich den wachsenden Wunsch, möglichst vielen Jugendlichen zu helfen, den Glauben und ihre geistliche Heimat in der katholischen Kirche wiederzuentdecken. Nur wo und wie, das wusste ich noch nicht.
Eines der Instrumente, die Gott gebrauchte, um mich auf den Weg zum Priestertum zu bringen, war ein Seminar mit einem beispielhaften Priester, P. Hans Buob SAC (Hochaltingen). Ein weiteres war eine Familienmutter und Theologin, mit der ich lange Gespräche führen konnte, die mir enorm halfen, konstruktiv über die Berufung nachzudenken. Dann unternahm ich eine Pilgerreise mit der Gruppe Totus Tuusnach Medjugorje und eine weitere Pilgerfahrt mit der Jugend 2000 nach Lourdes, wo ich über den totalen Einsatz eines der verantwortlichen Laien staunte, der sich häufig mit nur wenigen Stunden Schlaf begnügte, um alles, was ihm möglich war, zu unternehmen, um die Jugendlichen zum Glauben zu führen. Dort fand ich auch Gelegenheit, mit jungen Priestern und einem Weihbischof über das Thema der Berufung zu sprechen. Mehr und mehr fühlte ich mich zur Eucharistie und Beichte, zum Gebet und zur Lektüre von geistlichen Büchern, besonders über Heilige und Missionare, hingezogen.
All diese vielfältigen geistlichen Begegnungen und Erfahrungen blieben nicht ohne Folgen: Es genügte mir nun nicht mehr, als Lehrer „nur" dafür zu arbeiten, den Jugendlichen das Fundament eines Ausbildungsberufes zu vermitteln. Immer klarer erkannte ich, dass ihnen das Allerwichtigste im Leben noch fehlte: der Glaube, die Zugehörigkeit zur Kirche und ein Lebensstil, der sie wirklich zum Himmel führen würde!
Ordenseintritt statt Beamtenstelle
In einer Katechese im Oktober 1999 lernte ich zum ersten Mal einen Pater der Legionäre Christi kennen. Ich bat ihn um regelmäßige Treffen, um mir zu helfen, meine Berufungszweifel zu klären, wozu u.a. auch der Besuch des deutschen Noviziats der Kongregation in Bad Münstereifel beitragen sollte. Außerdem sah ich mir die Universität der Legionäre Christi in Rom an. In meinem Inneren blieb ich aber weiterhin unsicher, ob ich dem Ruf Gottes, alles aufzugeben und ihm als Ordenspriester zu dienen, folgen sollte, denn schließlich stand nicht gerade wenig auf dem Spiel: meine Arbeit als Lehrer, die als Beamtenstelle gut bezahlt und außerdem für den Rest meines Lebens garantiert war.
Was mir vor meinem Eintritt in die Kongregation der Legionäre Christi so positiv auffiel, waren vor allem drei wichtige Aspekte: Da war zum einen eine solide theologische Ausbildung in Übereinstimmung mit dem Lehramt der Kirche, was nicht an allen Universitäten selbstverständlich ist. Dann sah ich, dass sich die Ordensleute in einer überzeugenden Weise für die Neuevangelisierung einsetzten. Und schließlich fühlte ich mich vom Gemeinschaftsleben angezogen.
Immer offen für den Willen Gottes und mit vollem Einsatz begann ich am 7. Juli 2000 die Kandidaturzeit und absolvierte danach das zweijährige Noviziat. Mit der Zeit erkannte ich, dass ich wirklich die drei Aspekte gefunden hatte, die ich so sehr gesucht hatte. Aber Gott wollte mir noch viel mehr schenken: Die kostbare und aufbauende Gewohnheit der ‚guten Nachrede', das heißt das Bemühen, gut über andere zu reden und ihre positiven Eigenschaften hervorzuheben. Staunend entdeckte ich auch die essentielle Bedeutung der Tugend der Nächstenliebe. Und immer wieder neu begeisterte mich diese apostolische Dynamik.
Die Sicherheit bezügliche des eingeschlagenen Wegs und die Freude über meine Berufung wuchsen beständig, sowohl in den zwei Jahren des Philosophiestudiums, in denen mich die Leidenschaft für die Wahrheit neu und stärker als je zuvor ergriff, als auch in den zwei Jahren des pastoralen Praktikums in Deutschland, in denen ich manche wertvolle Erfahrungen in der Jugendarbeit machen durfte. Ich erinnere mich an die Begeisterung, die mich erfüllten, als ich das erste internationale Highlander-Camp in Schottland für Jungen aus ganz Europa mit vorbereiten und durchführen durfte. Mit dem Studium der Theologie in Rom schloss ich schließlich die Ausbildung zum Priester ab.
Die bisher größte Herausforderung meines Lebens war die Mitarbeit an der Gründung der von den Legionären Christi in Bad Münstereifel geleiteten Apostolischen Schule, einem sogenannten Kleines Seminar, das Jugendliche, die über eine Priesterberufung nachdenken, zum Abitur führt. Ich musste mich um viele unterschiedliche Dinge kümmern, von der Ausarbeitung der schulinternen Lehrpläne bis zur Suche nach neuen Lehrern und Vorstellungsgesprächen mit ihnen; von der zweckmäßigen Ausstattung der Unterrichtsräume bis zum Entwurf der Zeugnisformulare. Es galt, eine gute Vorbereitung für die erste Schülergeneration sicherstellen, die schon im Sommer 2009 die erste staatliche Abschlussprüfung bewältigen musste.
Mit tiefer Freude empfing ich am 13. Juni 2009 in meiner Heimatdiözese Regensburg die Diakonweihe. Lächelnd erwähnte Weihbischof Pappenberger in seiner Predigt, dass er es als eine besondere Fügung ansehe, jenem Kandidaten den „Dienst der Weihe" zu erweisen, der ihm drei Jahre zuvor den beim Seminar für die neugeweihten Bischöfe in Rom als Übersetzer zu Diensten war. Möge der Herr vollenden, was er mit seiner Gnade begonnen hat.
P. JOACHIM ANDREAS RICHTER wurde am 9. Mai 1966 in Kemnath, Bayern, geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugendzeit in Immenreuth. Er besuchte das Otto-Hahn-Gymnasium in Marktredwitz, wo er 1985 das Abitur ablegte. Nach 15 Monaten Wehrdienst studierte er vier Semester Pharmazie in Regensburg und fünf Jahre Lehramt für berufliche Schulen an der Technischen Universität und der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er war sechs Jahre als Berufsschullehrer für metalltechnische Berufe und für technisches Englisch an verschiedenen Berufsschulen tätig. Am 7. Juli 2000 trat er in die Kongregation der Legionäre Christi in Bad Münstereifel ein. An der Päpstlichen Hochschule Regina Apostolorum in Rom studierte er zwei Jahre Philosophie und drei Jahre Theologie. Bei der Gründung der Apostolischen Schule in Bad Münstereifel wirkte er als Studienpräfekt mit. Am 13. Juni 2009 wurde er in Regensburg zum Diakon und am 12. Dezember 2009 in Rom zum Priester geweiht. Seither wirkt er als Schulseelsorger am erzbischöflichen St.-Angela-Gymnasium in Bad Münstereifel, wo er Religion und Englisch unterrichtet, hl. Messen mit den Schülern feiert und Schülern, Lehrern und Eltern für seelsorgliche Gespräche zur Verfügung steht.