Lieber Pater Klaus Einsle,
Seit längerem beschäftige ich mich schon mit der Frage, ob ich berufen bin oder nicht. Da es mir immer klar war, dass ich zuerst eine Ausbildung bzw. ein Studium absolvieren sollte, hatte ich es auch nicht eilig damit und schob diese Frage ganz gerne vor mich hin.
Ganz konkret stellte sich für mich immer dann die Frage, wenn sich ein junger Mann für mich interessierte, dem ich auch nicht abgeneigt war. Beim letzten Mal hatte es mich besonders schlimm "erwischt" und mir wurde endlich bewusst, dass ich mich nun (damals gegen Ende des Studiums) endlich konkret mit meiner Zukunft auseinandersetzen sollte. Auch wenn ich mir nie einer Berufung sicher war, hatte ich immer das Gefühl, dass es nicht richtig wäre, eine feste Freundschaft zu beginnen. Ich betete natürlich und folgte auch dem Rat von Priestern, mir Klöster anzuschauen. Das eine Mal war ich in einem Karmel, der mich wirklich fasziniert. Gerade dort hatte ich aber das Gefühl "eingesperrt" zu sein. Die Schwestern, mit denen ich im Sprechzimmer sprechen durfte, machten wirklich einen glücklichen Eindruck, aber ich hatte fast das Gefühl, erdrückt zu werden und so saß ich einmal nach so einem Gespräch in meinem Zimmer und heulte eine halbe Stunde lang, weil ich Angst hatte, für dieses Kloster berufen zu sein.
Vielleicht denken Sie jetzt dass ich extrem kompliziert bin und vielleicht bin ich es auch, ohne es sein zu wollen. Ich war dann noch in einem "aktiveren" Kloster, das mir sehr sympathisch war, wenn ich auch dort nicht 100%ig wüsste, ob das mein Weg ist. Dort hatte ich jedenfalls dieses Gefühl der Enge nicht. Sind solche Gefühle Zeichen, dass man für diese Art Kloster berufen, oder eben nicht berufen ist, oder soll man diese eher als zweitrangig einstufen nach der Frage, ob Gott nicht doch diese "höhere Forderung" (ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine) an einen stellt.
Die zweite Frage, die ich habe, ist die, inwieweit man für das Wohl seiner Angehörigen verantwortlich ist. Als ich diese Klöster besuchte, war ich immer beruhigt, sagen zu können, dass ich im Augenblick sowieso noch nicht eintreten könnte, weil ich noch das Referendariat machen und weil ich meiner Mutter bei der Pflege meines schon damals relativ schwer kranken und pflegebedürftigen Vaters helfen müsse. Diesen Mai ist mein Vater dann gestorben. Jetzt gibt es diesen Grund nicht mehr. Dafür denke ich jetzt an die Zukunft meiner Mutter, bei der ich auch wohne. Da sie selbst gesundheitlich nicht völlig fit ist und im Herbst 65 wird mache ich mir einfach Gedanken um sie, was aus ihr wird, wenn ich in ein Kloster gehen sollte, nächstes Jahr nach Ende meiner Ausbildung.
Mein Bruder lebt zwar nicht all zu weit weg, aber er hat keine besonders große Bindung an sie, nicht zuletzt weil er nur ihr Stiefsohn ist. Im Augenblick arbeite ich viel mit im Haus und Garten, weil meine Mutter das alleine gar nicht schaffen würde.
Aber jetzt zurück zu der Frage: Natürlich weiß ich theoretisch, dass sich Gott, wenn er mich zum Ordensleben berufen hat, auch um solche Dinge kümmern kann, aber was liegt in meiner Verantwortung? Jesus sagt ja z.B., dass man sein Geld nicht spenden soll, wenn man es seinen bedürftigen Eltern entzieht (so interpretiere ich zumindest diese Bibelstelle). Kann man das auch auf die seelische Bedürftigkeit beziehen?
Nun bin ich am Ende meiner Mail. Lassen Sie sich ruhig Zeit mit der Antwort. Ich glaube die Fragen sind etwas wirr, aber sie lagen mir einfach auf der Seele und ich habe bisher noch keine befriedigende Antwort bekommen. Herzliche Grüße und vielen Dank im Voraus schon für Ihre Antwort.
Liebe Johanna in Christus,
viele Grüße und herzlichen Dank für die offene Mail, die Sie geschrieben haben. Für mich ist es eine wunderbare Erfahrung, in so geballten Maße zu sehen, wie viele Menschen Gott in ihrem Innern anspricht und sogar einlädt, eine besonders vertraute Beziehung mit ihm einzugehen. Ich sage in so geballtem Maße, weil ich viele Anfragen wie die Ihre erhalte. Junge Menschen spüren Gott, spüren seinen sanften und doch bestimmten Ruf; und sie fragen sich: wie kann ich Sicherheit erhalten, ob und was Gott von mir möchte.
Das ist wie mit der Liebe zu einem Menschen: es gibt keine letztendlichen Beweise. Denn Liebe und Berufung hat mit Liebe zu tun kann man nur immer wieder neu schenken. Tag für Tag. Und würde mir mein Geliebter ein Dokument übergeben, auf dem er unterschreibt, dass er mich immer lieben wird, würden wir es wohl geradezu als ironisch oder peinlich empfinden.
Auch Gott sendet kein Fax. Er pocht an, er lädt ein, er führt und durch dritte, er wartet und lässt unserer Freiheit und Großzügigkeit Platz. Das Schöne bei aller Unsicherheit: Wenn wir dem Herrn mit offenem und großzügigem Herzen antworten, wird er uns nicht im Stich lassen, uns auf grüne Auen führen, zum Ruheplatz am Wasser. Das erste Gebot auf der Suche nach seiner Berufung ist also: Vertrauen. Haben Sie keine Angst: Gott wird Sie niemals an einen Ort führen, der Sie erdrückt, der Ihnen das Gute nimmt, der Sie nur halb erfüllt zurücklässt. Gott ist das Leben in Fülle; und zu dieser Erfüllung ruft er uns.
Nun aber zu ihren Fragen. Wie kann ich meine ganz persönliche Berufung erkennen? Ich würde Ihnen drei Dinge raten:
- Beantworten Sie die Frage: Was kann und was will ich gerne tun? Man nennt das auch die Frage nach Eignung und Neigung. Durch die Antwort darauf werden wir uns klarer über Gottes Ruf werden.
- Das tägliche Gebet: in der Stille unseres Herzens, im vertrauten Dialog mit dem Gott unseres Lebens, entdecken wir seinen Willen; im Gebet wird Gott uns mehr Klarheit geben und uns führen.
- Die Begleitung durch einen erfahrenen geistlichen Begleiter. Dieser wird gemeinsam mit uns versuchen, denn Willen Gottes zu erkennen und uns führen, leiten und ermutigen. Es scheint mir ganz besonders wichtig, einen festen geistliche Leiter zu haben, der uns kennt und uns wirksam helfen und leiten kann. Verschiedene Gespräche mit verschiedenen Priestern sind hilfreich, können aber einen festen geistlichen Leiter nicht ersetzen.
Zur Frage nach der Verantwortung für Ihre älter werdende Mutter: Der Katechismus der katholischen Kirche sagt uns, dass wir für unsere Eltern im Alter nach unseren Möglichkeiten sorgen sollen (Im Alter, in Krankheit, Einsamkeit oder Not sollen sie ihnen, so gut sie können, materiell und moralisch beistehen KKK 2218). Das bedeutet einerseits, dass wir nicht gleichgültig vor der Situation unserer Eltern stehen dürfen. Aber andererseits dürfen wir auch das Wort Christi nicht vergessen, das da lautet Du komm, und folge mir nach. Wenn Christus einem Menschen eine echte Berufung zur Ganzhingabe schenkt, dann gibt es auch Möglichkeiten, die Versorgung einer Mutter im Alter zu gewährleisten. Diese Frage muss mit dem geistlichen Leiter im konkreten Fall persönlich beprochen werden, soll aber nicht im Gegensatz zur Berufung stehen.
Liebe Johanna, ich hoffe, diese Gedanken werfen ein wenig Licht auf Ihre momentane Situation. Vertrauen Sie sehr auf Gott. Suchen Sie sich einen guten und erfahrenen geistlichen Leiter (wenn Sie mir sagen, wo Sie wohnen, kann ich sehen, ob einer meiner Mitbrüder in Ihrer Nähe ist), beten Sie gut.
Gott geht schon lange mit Ihnen und hat einen wunderbaren Weg der Liebe vorgezeichnet. Nun gilt es, diesen gemeinsam mit Ihm! zu entdecken und mutig zu gehen.
Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Guten (vgl. Röm).
Ich bete für Sie und freue mich über eine spätere Nachricht.
In Christus, Ihr
Klaus Einsle LC